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Beantwortet
Autor R. Bimashofer am 17. Februar 2010
24702 Leser · 38 Stimmen (-3 / +35) · 1 Kommentar

Geldpolitik, Zinsen, Inflation

Preisstabilität

Sie veröffentlichten ein schlecht lesbares Inserat mit kleiner weißer Schrift auf blauem Grund, das ich mit Hilfe einer Lupe lesen konnte. Darin geht es um Preisstabilität und die Behauptung, dass diese oberstes Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) sei. „Sie verfügt über genügend Hebel, die Geldmenge zu verringern und damit Inflation zu verhindern“, schreiben Sie.
Eine Freundin von mir bekam nun eine Erlebensversicherung nach über zehn Jahren ausbezahlt und staunte über den geringen Auszahlungsbetrag. Über Nachforschung eröffnete ihr die Raiffeisen-Versicherung, dass der Einmalerlag mit 2,02 Prozent per Anno verzinst worden war und die Inflation im Zeitraum vom 1.3.1999 bis 1.7.2009 mit 1,98 praktisch gleich hoch war.
Mit dieser Erfahrung ausgestattet, fragen wir uns natürlich, wo war die EZB mit ihren Hebeln? Wieso hat die EZB, die ja angeblich die Möglichkeiten hat, die Inflation nicht behindert? Wieso konnte die Inflation sämtliche Zinsen auffressen?
Das können Sie als höchstbezahlte Experten bestimmt beantworten, da eine solche Diskrepanz zwischen Behauptung in der Werbung und belegbarer Realität doch entwaffnend ist, oder?

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Antwort
von Univ.-Prof. Dr. Ewald Nowotny am 22. April 2010
Univ.-Prof. Dr. Ewald  Nowotny

Sehr geehrter Herr Bimashofer!

Lassen Sie mich, bevor ich auf Ihre Fragen eingehe, zunächst noch einige wichtige Hintergrundinformationen erläutern.

Das oberste Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) ist die mittelfristige Sicherung von Preisstabilität für den gesamten Euroraum. Preisstabilität wird dabei als ein Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) von unter, aber nahe bei 2 Prozent definiert.

Unter Preisstabilität wird demnach nicht eine Inflationsrate von 0 Prozent verstanden. Durch die Formulierung „Anstieg des HVPI von unter, aber nahe bei 2%“ stellt die Definition unmissverständlich klar, dass nicht nur eine Inflation von über 2%, sondern auch eine Deflation (d.h. ein rückläufiges Preisniveau) mit Preisstabilität unvereinbar ist. Deflation verursacht für eine Volkswirtschaft ähnliche Kosten wie Inflation. Da sich eine einmal aufgetretene Deflation allerdings verfestigen kann, zumal die nominalen Zinssätze ja nicht unter Null fallen können, ist es wichtig, Deflation zu vermeiden. In einem deflatorischen Umfeld ist die Geldpolitik somit möglicherweise nicht mehr in der Lage, die Gesamtnachfrage mithilfe ihres Zinsinstruments ausreichend zu stimulieren. Jeder Versuch, die nominalen Zinssätze auf ein Niveau von unter Null zu drücken, würde fehlschlagen, da die Öffentlichkeit es vorziehen würde, ihr Bargeld zu behalten, statt es zu einem negativen Satz zu verleihen oder Einlagen zu halten. Zwar können selbst bei nominalen Zinssätzen von Null verschiedene geldpolitische Maßnahmen ergriffen werden, doch ist die Wirksamkeit dieser Alternativen ungewiss. Aus diesem Grund ist die Deflationsbekämpfung für die Geldpolitik schwieriger als die Bekämpfung von Inflation.
Die Festlegung der Obergrenze für die Inflation auf einen Wert deutlich über Null und eine angestrebte Inflation von unter, aber nahe bei 2%, hat darüber hinaus auch einen technischen Grund. Die EZB berücksichtigt damit nämlich, dass die gemessene Teuerung die tatsächliche Inflation aufgrund eines geringen, positiven Messfehlers bei der Ermittlung von Preisniveauveränderungen leicht überzeichnen kann. Aus diesen Überlegungen heraus hat die EZB Preisstabilität als eine Inflationsrate von knapp unter 2% definiert.

Sie sehen also, dass die EZB und die Oesterreichische Nationalbank als Teil des Eurosystems, in der Erreichung ihres Ziels in den letzten Jahren äußerst erfolgreich waren – die von Ihnen genannten Zahlen bestätigen das. Warum nun das Investment Ihrer Freundin keinen höheren Ertrag abgeworfen hat, lässt sich ohne Detailkenntnisse über die Veranlagung nicht ohne weiteres beantworten. Grundsätzlich gibt es bei allen Investments einen Zusammenhang zwischen Risiko und Ertrag: Wer bereit ist ein hohes Risiko einzugehen, wird – bei einer erfolgreichen Entwicklung des Portfolios – auch einen entsprechend hohen Ertrag lukrieren können. Bei risikoarmen Veranlagungsformen hingegen, wird der Ertrag dementsprechend geringer ausfallen. Darüber hinaus möchte ich auch zu bedenken geben, dass wir in den letzten Jahren den massivsten Einbruch der Wirtschaftsleistung seit dem Zweiten Weltkrieg miterlebt haben. Dies hat sich selbstverständlich auch auf die Performance von Veranlagungen ausgewirkt und könnte den durchschnittlichen Ertrag über die Laufzeit auf dieses jährliche Zinsniveau gedrückt haben.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Ewald Nowotny

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