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Beantwortet
Autor M. Gotthalmseder am 14. Dezember 2011
31183 Leser · 67 Stimmen (-2 / +65) · 2 Kommentare

Finanzmarktstabilität & Bankenaufsicht

Sind die Geldvermögen in den Wertpapiermarkt abgewandert?

Sehr geehrte Damen und Herren von der Österreichischen Nationalbank.

Meine Frage betrifft die gestiegenen Geldvermögen. Geldvermögen unterscheidet sich von der Geldmenge darin, dass auch langfristig gebundenes Geld gezählt wird. Dadurch entsprechen die Geldvermögen immer der Menge der Schulden. Seit den 70er Jahren haben sich die Geldvermögen, und damit auch die Schulden Weltweit vervierzigfacht (bis vor der Krise) und auch in Deutschland etwa verzwanzigfacht, wie diese Grafik der deutschen Bundesbank zeigt:

http://tinyurl.com/czgbjr9

Die Wirtschaftsleistung hat sich etwa vervierfacht. Die Geldmenge wäre also wesentlich näher an der Wirschaftsleistung geblieben, wäre sie seither nicht angetastet worden. Dann hätten wir auch kein Schuldenproblem.

Der Realwirtschaft, wo produziert und konsumiert wird, fehlt heute das Geld. In ihr finden wir die Schuldner. Im Wertpapierhandel erleben wir seit den 70er Jahren stetige Teuerungsraten (also Kursanstiege), weil dort mehr Geld hinein strömt als Waren existieren. Da das Geld nicht in gleicher Menge zurück in den Konsum wandert, können die Schuldner der Realwirtschaft ihre Schulden nicht tilgen, und es kommt zu der sogenannten Bankenkrise, die ja eigentlich eine Kreditausfallkrise ist. Die Preise für Anlageprodukte sind durch die in den Wertpapiermarkt wandernden Geldvermögen derart utopisch geworden (die sogenannte Blase), dass, wie in der folgenden Statistik zu erkennen ist, das nach Anlage suchende Vermögen die realen Werte (also das Weltsozialprodukt) inzwischen um 140 Billionen Dollar übersteigt.

http://tinyurl.com/bw5xaqs

Dieses irreale Überangebot an Geld im Wertpapiermarkt entspricht etwa den weltweiten Staatsschulden.

Da Großanleger ihre enormen Vermögen kaum in den Konsum investieren (Milliarden kann man nicht (ver)konsumieren)), sondern die enormen Geldmengen überwiegend dazu dienen Wertpapiere untereinander zu handeln, fehlt der Realwirtschaft und dem Staat dieses Geld. Außerdem gibt es den Anlegern die Macht Preisspekulationen zu betreiben, mit denen sie die Realwirtschaft erpressen, und ihr weiteres Geld entziehen, indem sie zum Beispiel eine Ressource aufkaufen und zurückhalten, bis die Industrie den gewünschten Preis zahlt oder auf andere Weise die Zinsen für Staatsanleihen steigern, um dann daran zu verdienen.

Da dieses System selbstverstärkend arbeitet (mehr Geld im Wertpapiermarkt =mehr Macht = mehr Geld...) treibt es die Realwirtschaft und die Staaten in den Ruin.

Durch einen niedrigen Leitzins versuchen nun die Nationalbanken wieder Geld in die Realwirtschaft zu bringen, das natürlich wieder in den Wertpapiermarkt abwandert.

Meine Fragen:

1. Ist es angesichts der bereits zu großen Geld und Schuldenmengen überhaupt sinnvoll den Leitzins niedrig zu halten, um die Geldmenge weiter zu steigern?

2. Kann die Nationalbank denn überhaupt eine Steigerung der Geldmenge bewirken, so lange in der Realwirtschaft die Zuversicht fehlt Kredite tilgen zu können, und somit die Geschäftsbanken gar keine guten Kreditnehmer finden können?

3. Wenn die mächtigste öffentliche Institution, die Nationalbank, keine Umverteilung vom Wertpapiermarkt zurück in die Realwirtschaft bewirken kann, brauchen wir dann nicht neue Regeln für das Geldsystem bzw. ein neues System?

4. Wäre es nicht sinnvoll, wenn sich die Staaten einmal von jenen beraten ließen, die nicht Vertreter dieses gescheiterten Systems sind?

Es gibt doch genügend unabhängige Experten, siehe http://geldmitsystem.org

+63

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Antwort
von Univ.-Prof. Dr. Ewald Nowotny am 25. Januar 2012
Univ.-Prof. Dr. Ewald  Nowotny

Sehr geehrter Herr Gotthalmseder!

Vorweg möchte ich festhalten, dass sich geldpolitische Entscheidungen nicht nur an der Entwicklung der Geldmenge orientieren, sondern auch andere Faktoren wie die Preisstabilität oder die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu berücksichtigen sind. Innerhalb des Euroraums ist die Zielsetzung der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB, www.ecb.int) eindeutig als Gewährleistung der Preisstabilität (Art. 127 AEUV) definiert. Der EZB-Rat entschied sich mit der Einhaltung dieser Zielsetzung bewusst gegen eine Geldmengensteuerung. Für die Preisstabilität sind mehrere andere gesamtwirtschaftliche Variable von Bedeutung. Die angemessene Höhe des Leitzinssatzes ergibt sich somit nicht nur aus der Geldmenge, sondern basiert eben auch auf diesen wirtschaftlichen Daten. Ein niedriger Leitzinssatz ist in Zeiten konjunktureller Abschwächungen – die in der Regel mit einem verminderten Preisdruck einhergehen – ein adäquates Instrument, um die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln.

Das in Ihrer zweiten Frage geschilderte Szenario ähnelt dem von John Maynard Keynes als „Liquiditätsfalle“ beschriebenen. Hier können zinspolitische Maßnahmen nicht mehr wirken, weil der Leitzins nicht unter Null fallen kann. Allerdings stehen den Notenbank hier weitere, so genannte „unkonventionelle“ geldpolitische Maßnahmen zur Verfügung, die ich auf dieser Plattform bereits einmal erläutert habe: http://www.direktzu.at/oenb/messages/nullschranke-nominal...

Betreffend Ihrer abschließenden Fragen teile ich Ihre Meinung nicht: Unser Geldsystem ist nicht gescheitert, vielmehr haben wir die Lehren aus der großen Weltwirtschaftskrise des letzten Jahrhunderts gezogen und durch den Einsatz geldpolitischer Instrumente die Auswirkungen der Krise dämpfen können. Auch die Ursachen der Probleme, mit denen wir konfrontiert waren und nach wie vor sind, liegen nicht im Geldsystem. Meines Erachtens ist dafür ein ganzes Bündel an Faktoren verantwortlich, in dem nicht zuletzt der unzureichenden Regulierung im Finanzsektor, den zu hohen Budgetdefiziten in wirtschaftlich guten Zeiten sowie den nicht wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstrukturen herausragende Rollen zukommen.

Mit freundlichen Grüßen

Ewald Nowotny

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