Sehr geehrter Herr Bamberger!
Die von Ihnen angeführte Debatte bezieht sich auf eine deflationäre Situation, in der expansive Geldpolitik nicht mehr wirkt. In einer derartigen Situation sind demzufolge andere geldpolitische Maßnahmen erforderlich, als die üblicherweise eingesetzten. Einer der Vorschläge wie eine Zentralbank in einer solchen Situation agieren könnte, ist die Festlegung negativer Zinssätze. Diese Idee wird von Notenbanken und Ökonomen in einem in erster Linie akademischen Diskurs schon seit Jahren besprochen – im Zuge der aktuellen Krise hat sich diese Diskussion intensiviert. In der Realität wurden allerdings andere geldpolitische Instrumente eingesetzt, die nicht an den Leitzinsen ansetzen und zwar die so genannten unkonventionellen Maßnahmen.
Je nach Währungsraum hat der Begriff „unkonventionelle Maßnahmen“ jedoch eine unterschiedliche Bedeutung: Das Federal Reserve System der USA betätigt sich gegenwärtig in „credit easing“, das heißt es werden direkt in bestimmten Marktsegmenten Wertpapierkäufe getätigt. Im Wesentlichen entspricht dies dem in den 1990er Jahren in Japan erprobten Modell des „quantitative easing“, bei dem unter anderem die Zentralbankgeldmenge durch Ankäufe von Staatsanleihen bzw. staatlichen Schuldverschreibungen ausgeweitet wurde.
Im Eurosystem hingegen spricht man von der erweiterten Kreditunterstützung („enhanced credit support“), die ein ganzes Maßnahmenbündel umfasst. Dieses setzt am Bankensystem an, da dies in Europa im Zentrum der geldpolitischen Transmission steht. Ziel ist eine Verbesserung der Kreditsituation in Europa, die mittels verstärkter Bereitstellung von Liquidität an die Banken erreicht werden soll. Zu diesem Zweck wurden im Jahr 2009 die Zuteilungsmodalitäten und Laufzeiten der Tendergeschäfte verändert, im Rahmen derer sich Kreditinstitute refinanzieren können. Auch die Liste der Sicherheiten für Zentralbankdarlehen wurde erweitert. Außerdem wurde Liquidität auch in Fremdwährungen, vor allem U.S.-Dollar, zur Verfügung gestellt. Des Weiteren hat die Europäische Zentralbank (EZB) Anfang Mai 2009 angekündigt, Pfandbriefe im Wert von 60 Mrd. Euro zu erwerben. Angekauft werden auf den Kapitalmärkten jedoch nur Pfandbriefe bester Bonität verschiedener Länder der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) mit Laufzeiten zwischen 3 und 10 Jahren. Ziel dieser Ankäufe ist die Belebung des von Liquiditätsengpässen betroffenen Marktsegmentes, die Verbesserung der Finanzierungsbedingungen und eine Senkung der langfristigen Zinssätze bzw. ein Abflachen der Zinskurve, die das Verhältnis zwischen Laufzeit und Rendite von Anleihen abbildet. Da es kürzlich zu weiteren, tiefgreifenden Störungen in den Märkten für private und öffentliche Schulverschreibungen kam, entschloss sich die EZB im Mai 2010 auch in diesem Bereich tätig zu werden, um die Funktionsfähigkeit dieser Märkte wiederherzustellen.
Wie bereits eingangs erwähnt, wurden all diese Maßnahmen in einem äußerst instabilen wirtschaftlichen Umfeld gesetzt, in dem zeitweise, etwa Anfang 2009, auch deflationäre Tendenzen zu befürchten gewesen waren. Diese Maßnahmen waren und sind notwendig und richtig – sie tragen dazu bei, dass die Geldpolitik ihre entsprechende Wirkung auch in wirtschaftlich instabilen Zeiten entfalten kann. Wären derartige Schritte nicht gesetzt worden, so hätte uns die gegenwärtige Krise viel massiver und unmittelbarer – etwa in Form einer Kreditklemme – getroffen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Ewald Nowotny
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am 21. Mai 2010
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