Sehr geehrter Herr Heising!
Stresstests sind ein bewährtes Instrument, das sowohl von Banken als auch von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden zur Einschätzung extremer, aber dennoch plausibler Risiken eingesetzt wird. Gegenwärtig führt das EU-Bankenaufsichtsgremium, also der Ausschuss der europäischen Bankaufsichtsbehörden (CEBS – Committee of European Banking Supervisors, www.c-ebs.org), – unterstützt von der Europäischen Zentralbank (EZB, www.ecb.int) sowie nationalen Aufsichtsbehörden bzw. Zentralbanken – in Zusammenarbeit mit den größten europäischen Banken solche Tests durch. Dabei geben sie ein hypothetisches Szenario vor wie z. B. eine Rezession. Die Banken „übersetzen“ diese Vorgaben in Kreditausfälle. Ist ihre Kapitalquote auch nach Berücksichtigung der (hypothetischen) Kreditausfälle noch zufriedenstellend, kann ihnen eine hinreichende Risikotragfähigkeit bescheinigt werden. Die Stresstests des CEBS werden daher zeigen, ob das europäische Finanzsystem im Stress stabil ist und ob weiterer Rekapitalisierungsbedarf gegeben ist.
Der Hauptgrund weshalb viele Experten für eine Veröffentlichung der Stresstests plädieren ist, dass dadurch mehr Transparenz über die Krisenresistenz von Kreditinstituten geschaffen werden kann. Die Banken einiger EU-Mitgliedstaaten haben zurzeit Probleme, sich über die Märkte zu refinanzieren. Von einer Erhöhung der Transparenz, die mit der Veröffentlichung von Stresstest-Ergebnissen der Banken erreicht werden soll, erhofft man sich eine Verringerung des generellen gegenseitigen Misstrauens der Banken und damit ein besseres Funktionieren der Märkte. Dadurch soll die Refinanzierung über den Markt wieder erleichtert werden.
Ich möchte jedoch auch zu bedenken geben, dass eine Veröffentlichung von Stresstest-Ergebnissen auch gewisse Gefahren birgt. So könnten ihre Ergebnisse als „Prognose“ missverstanden werden, obwohl es sich tatsächlich um die potenziellen Auswirkungen eines angenommenen extremen Szenarios handelt. Außerdem könnte eine undifferenzierte Betrachtung von Einzelbankergebnissen irreführend sein, wenn sie nicht die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der Banken berücksichtigt. Eine solche unvollständige oder falsche Interpretation der Ergebnisse könnte dadurch auch solide Institute in Bedrängnis bringen.
Wie bereits erwähnt, ist der Stresstest also zweifellos ein wichtiges und bewährtes Instrument, das Auskunft über die Stabilität des Finanzsystems gibt. Stresstests sind aber bis zu einem gewissen Grad auch eine „Modeerscheinung”. Daher möchte ich empfehlen, ihre Bedeutung weder zu über- noch zu unterschätzen und in der Interpretation der Ergebnisse Vorsicht walten zu lassen. Der Stresstest ist eines von vielen Instrumenten der Aufsicht.
Bis jetzt haben wir in der Präsentation unserer Stresstests keine Einzelbankenergebnisse genannt, sondern über die allgemeine Performance des österreichischen Finanzsystems im Krisenfall berichtet. Dass bedeutet, dass unsere Ergebnisse im Aggregat veröffentlicht wurden, weil diese „Testreihe” die Überprüfung der Systemstabilität zum Ziel hatte. Andere Arten von Stresstests, wie etwa jene in den USA, zielen demgegenüber darauf ab, einen etwaigen Rekapitalisierungsbedarf einzelner Institute im Stressfall zu erfassen, weshalb eine Veröffentlichung der Einzelbankergebnisse zweckmäßig ist. Diesem Ziel dient nunmehr auch der bereits erwähnte CEBS/EZB-Stresstest.
Auch wenn die Stresstestergebnisse der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) bisher in aggregierter Form veröffentlicht wurden, so stehen aber selbstverständlich auch wir mit den einzelnen österreichischen Banken in engem Kontakt und weisen gegebenenfalls auf Veränderungsbedarf hin. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass sich eine international einheitliche Position zur Veröffentlichung der Stresstests auf Einzelbank- oder Systemebene herauskristallisieren wird. Die Oesterreichische Nationalbank beobachtet diesen Diskussionsprozess genau und wird sich der zukünftigen internationalen Position anschließen.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass die Ergebnisse der letzten in Österreich durchgeführten Stresstests auf eine Verbesserung der Lage der heimischen Kreditinstitute hindeuten. Zwar sind die Banken weiterhin gewissen Risiken ausgesetzt, in seiner Gesamtheit ist das österreichische Bankensystem aber als stabil zu betrachten. Im internationalen Vergleich sind die Eigenkapitalquoten der österreichischen Institute relativ niedrig. Dies ist aber auch durch das traditionell eher konservative Geschäftsmodell der heimischen Banken zu erklären, das eine geringere Eigenkapitalunterlegung ermöglicht.
Die Presseaussendung über die Ergebnisse der letzten Stresstests sowie den aktuellen Finanzmarkstabilitätsbericht können Sie auf der Webseite der OeNB einsehen: http://direktzu.at/s/k5vyh7
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Ittner
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