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Beantwortet
Autor Frank Wendler am 22. März 2010
23717 Leser · 34 Stimmen (-0 / +34) · 0 Kommentare

Geldpolitik, Zinsen, Inflation

Staatsbankrotte - ist das "Undenkbare" wirklich bald möglich ?

Sehr geehrtes Direktorium der Oesterreichischen Nationalbank,

Horst Köhler, der frühere Chef des IWF und heutiger Bundespräsident von Deutschland, bereitet an diesem Wochenende die Öffentlichkeit in einem Focus-Zeitungsinterview darauf vor, Zitat: „Es kann Staaten geben, die mit ihren Schulden nicht mehr fertigwerden. Deshalb ist es an der Zeit, das für viele Undenkbare zu denken: Wir brauchen geordnete Insolvenzverfahren nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Staaten“.

1.
Wie schätzt die Oesterreichische Nationalbank die Wahrscheinlichkeit ein, dass Länder in der Eurozone in den Staatsbankrott (Insolvenzverfahren) abdriften?

2.
Welche Länder hält die Oesterreichische Nationalbank neben Griechenland für besonders gefährdet (siehe auch Problematik Spanien)?

3.
Unter www.staatsschulden.at findet man die aktuelle Staatsverschuldung von Österreich. Sehen Sie diesen rasanten Anstieg nicht auch mit großer Sorge und wie groß ist Ihre Zuversicht, dass man nicht auch einmal in Österreich an das „Undenkbare“ denken muß.

Für Ihre ausführliche Antwort bedanke ich mich und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen

F.Wendler aus Salzburg

+34

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Antwort
von Univ.-Prof. Dr. Ewald Nowotny am 22. April 2010
Univ.-Prof. Dr. Ewald  Nowotny

Sehr geehrter Herr Wendler!

Zunächst zu Ihrer ersten Frage. Ich halte die Vorstellung, dass Länder des Euroraums in die Zahlungsunfähigkeit rutschen aus heutiger Perspektive für nicht wahrscheinlich. Die Annahme, dass Griechenland – das sich zweifelsohne in einer schwierigen Situation befindet – in den Staatsbankrott rutschen bzw. aus dem Euro-Währungsgebiet ausscheiden könnte, ist völlig unrealistisch. Dennoch ist der vom deutschen Bundespräsidenten angesprochene Vorschlag natürlich zu diskutieren, sollten Staaten tatsächlich in solche Probleme geraten. In erster Linie muss aber über Wege nachgedacht werden, wie ein solcher Extremfall von vornherein verhindert werden kann. Dies sollte einerseits über den Abbau von Handelsbilanzungleichgewichten geschehen und andererseits über Strukturreformen seitens der betroffenen Länder.

An dieser Stelle möchte ich daher auch darauf hinzuweisen, dass für Griechenland gerade ein umfassendes Hilfspaket geschnürt wurde, dank dessen die schwierige Situation in der sich das Land befindet beträchtlich entschärft werden konnte. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Paket dazu beitragen wird, der Spekulation gegen Griechenland entgegenzuwirken.

Zum einen hilft diese finanzielle Unterstützung dem Land dabei sich selbst zu helfen, da dadurch Signale ausgesendet werden, die die Marktteilnehmer beruhigen. Wichtig ist natürlich auch, dass alle Länder, deren Staatsfinanzen gefährdet sind, ihre Hausaufgaben erledigen und entschlossene und mutige Programme entwickeln, die zu einer raschen Stabilisierung der Haushalte führen. Dadurch wird das Vertrauen auf den Märkten wieder hergestellt und die Finanzierung erleichtert. Die griechische Regierung hat hier den richtigen Weg eingeschlagen und muss diesen nun konsequent beschreiten. Zum anderen hat Griechenland bereits erste Gespräche über eine Inanspruchnahme der bereitgestellten finanziellen Mittel aufgenommen, sodass dem Land auch unmittelbare Hilfe gewährt werden kann. Dadurch wird auch ein Übergreifen der Probleme Griechenlands auf andere Länder der Währungsunion verhindert.

Nun zu Ihrer zweiten Frage. Ich sehe derzeit kein Land der Eurozone in einer ähnlich extremen Situation wie Griechenland. Im Laufe einer Wirtschaftskrise ergeben sich jedoch für alle Staaten höhere Defizite, alleine schon, weil im Zuge eines Wirtschaftsabschwungs die Steuereinnahmen zurückgehen. Die während der Krise gesetzten fiskalpolitischen Maßnahmen, die dazu beitragen, die Effekte der Krise abzumildern und neues Wirtschaftswachstum ermöglichen sollen, erhöhen die Neuverschuldung und den Schuldenstand zusätzlich. Bei entsprechendem Wachstum steigen aber auch wieder automatisch die Steuereinnahmen, sodass die in der Krise angehäuften Schulden wieder reduziert werden können.

Zum Schuldenabbau sind aber darüber hinaus auch die bereits angesprochenen Sparprogramme und fiskalische Disziplin der Mitgliedsstaaten notwendig. Ein weiterer Aspekt, der in diesem Kontext bedacht werden sollte, ist die bereits erwähnte Problematik der Zahlungsbilanzungleichgewichte. Diesen sollte von den Ländern des Euro-Währungsgebiets in Zukunft vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Zahlungsbilanzüberschüsse eines Landes wirken sich nämlich bei anderen Ländern negativ auf die Zahlungsbilanzen aus – d.h. die Überschüsse der einen Länder sind gleichsam die Schulden anderer Länder. Dies kann innerhalb einer Währungsunion zu einer ungleichmäßigen wirtschaftlichen Entwicklung und daher zu einer gewissen Schieflage führen. In diesem Sinne wären ausgeglichene Zahlungsbilanzen insbesondere innerhalb der Eurozone anzustreben, um der gesamten Währungsunion ein nachhaltiges und stabiles Wachstum zu ermöglichen. Notwendige Voraussetzung hierfür ist, dass stark exportorientierte Volkswirtschaften auch Anstrengungen unternehmen, die zu einer Erhöhung der heimischen Nachfrage führen. Vor allem aber müssen jene Länder, die Leistungsbilanzdefizite aufweisen, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder gewinnen.

Zu Ihrer letzten Frage betreffend die österreichische Staatsverschuldung möchte ich zunächst noch einmal in Erinnerung rufen, worauf ich bereits in der Beantwortung Ihrer Frage vom 5. März hingewiesen hatte: Wir haben in den letzten Jahren die größte wirtschaftliche Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs miterlebt. Und diese Krise ist zumindest für Europa noch keineswegs vorbei. Das bedeutet aber nicht, dass einzelne Länder unmittelbar gefährdet wären.

Die Maßnahmen die von Seiten der Fiskal- und Geldpolitik während der gegenwärtigen Krise ergriffen wurden (wie etwa öffentliche Investitionen, Zinssenkungen, unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen) haben, sowohl in Österreich als auch weltweit, dazu beigetragen, die Auswirkungen der Krise auf Wachstum und Beschäftigung abzumildern. Außerdem dienen die öffentlichen Investitionen ja beispielsweise auch dazu, die Infrastruktur zu verbessern und strukturelle Schwächen der Ökonomie zu beheben. Das Engagement des öffentlichen Sektors trägt also dazu bei, dass Österreich gestärkt aus der Krise hervorgehen kann. Hätte man nicht so schnell und entschlossen reagiert, so hätte die Krise noch viel massivere Folgen für alle österreichischen Bürgerinnen und Bürger gehabt. Ich möchte daher an dieser Stelle nochmals festhalten: Die staatlichen Eingriffe waren notwendig und richtig, und mussten in dieser historisch einzigartigen Situation über neue Schuldenaufnahme finanziert werden.

Auch für Österreich sehe ich die Gefahr einer Überschuldung bzw. eines Staatsbankrotts nicht. Doch obwohl die budgetäre Situation in Österreich ungleich besser ist als etwa in Griechenland, so gilt selbstverständlich auch für Österreich, dass der Abbau der Staatsschulden und die Reduktion des Defizits in den kommenden Jahren zu den wichtigsten wirtschaftspolitischen Aufgaben zählen werden.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Ewald Nowotny